Glühbier: Hot or not?
Bier schmeckt extra kalt an heißen Sommertagen am besten? Nicht unbedingt denn Glühbier kann eine leckere wenn auch gewöhnungsbedürftig klingende Alternative für sämtliche Weihnachtsmarktbesucher sein, die nicht unbedingt auf Glühwein aus sind.
Sicher wird der Gedanke an heiß genossenen Gerstensaft so manchem eingefleischten Biertrinker den Angstschweiß auf die Stirn treiben. Vielleicht erinnert er sich an erkältungsschwangere Stunden und Omas gut gemeinten Rat, mit einem heißen Bier dem einfallenden Heer von Viren und Bakterien zu begegnen. Nun, zum Erschrecken solcher Plagegeister mag das Hausmittel seinen Zweck erfüllt haben. Auch Opas Bierwärmer ist nicht unbedingt ein schlagendes Argument für ein wohltemperiertes Bierchen.
Der Gedanke mag also gewöhnungsbedürftig sein. Doch wenn dem Mutigen die Welt gehört, dann kann er zumindest ein kleines Stück davon erobern und den Geschmackshorizont erweitern, wenn er sich zu einem Selbstversuch durchringt. Denn Glühbier hat mit Omas Hausmittel und Opas Altherrenstammtisch rein gar nichts zu tun.
Wer es probiert, wird überrascht sein und sich zu einer neuen Erfahrung gratulieren. Glühbier braucht die Konkurrenz aus dem Weinlager nicht zu fürchten – es kann einen ganz eigenen Erfolgsweg gehen: fruchtig und mild-süß, dezent würzig und mit fein perlender Schaumkrone – der Aha-Effekt für den Weihnachtsmarktbesucher, der glaubt, alles gesehen zu haben.
St. Louis Kriek und Glühkriek – zwei Sprösslinge aus gutem Haus
Glühbier ist ein Kind der 1990er Jahre. Sein Stern ging auf in einem Land mit „B“, wo Bierbrauen seit 2016 zum Weltkulturerbe gehört. Nein, nicht Bayern ist seine Wiege, die heiße „Rote“ kommt aus Belgien.
Die Brauerei Liefmans aus Oudenaarde in Ostflandern steht seit 1679 für authentische belgische Braukunst. Aus ihren Braukesseln kommt das kräftige Kirschbier „St. Louis Kriek“, dessen Herstellung aufwändig und langwierig ist.
Die Basis ist das traditionell gebraute Bruin-Bier (Braunbier). Wenn in Belgien die Sauerkirschernte ansteht, kommt für das dunkle Bier die große Stunde: dem ein Jahr gereiften Gebräu werden frische Kirschen zugesetzt – nicht als Saft, sondern in der ganzen Frucht. Das 100-Liter-Fass wird mit ca. 13 kg vollreifen Früchtchen veredelt. Bis zu 12 Monate bleiben Frucht und Bier zusammen im Eichenfass. Das Ergebnis dieses friedlichen Zusammenlebens ist ein Fruchtbier mit rötlicher Färbung und leichtem Mandelgeschmack – der Kirschkerne wegen. Die Abfüllung erfolgt traditionell liebevoll: in Handarbeit werden die 0,75-Liter-Flaschen verkorkt.
Um ein echtes Glühkriek zu werden, muss sich das Bier jedoch einer weiteren Prozedur unterziehen: erst Honig oder Kandiszucker sowie der Zusatz von Gewürzen wie Anisfrüchten, Zimtstangen oder Nelkenknospen sind der Türöffner für einen heißen weihnachtlichen Auftritt.
Die Brauerei Liefmans kam in den 1990er Jahren auf die Idee, das Kirschbier – mit etwas Honig versüßt – als Heißgetränk auf Weihnachtsmärkten und vergleichbaren Veranstaltungen zu präsentieren – der Erfolg gab ihr Recht. Die Rezeptur wurde in den folgenden Jahren optimiert und nach zehn Wintern war man sicher, den Stein der Weisen gefunden zu haben. Das fertig gewürzte Bier gibt es in der weihnachtlich grün umwickelten Flasche oder im Fässchen – man muss es nur noch zum Glühen bringen.
Doch nicht nur in Belgien erwärmt man sich für heißes Fruchtbier, auch Störtebeker aus Stralsund ist auf den Zug aufgesprungen. In der zweiten Jahreshälfte kommt die Lagerbier-Spezialität mit Holundersaft und winterlichen Gewürzen in die Kiste: auf dem Weihnachtsmarkt zu Christstollen und Marzipan, die gehobenere Gastronomie empfiehlt den Genuss u. a. zu dunkler Schokoladen-Tarte mit Beeren.
Vom Weihnachtsmarkt in die Gaststube
Winterliche Gewürznote und herb-süße Spritzigkeit machen das Glühbier zu einem gern gesehenen Gast auf jedem Weihnachtsmarkt. Sicher kann es dem Glühwein so einige Meter abnehmen. Doch auch eine winterliche Glührunde rund um das Rauchertischchen vor der Gaststätte – was spricht dagegen? Kommt es bei einer Betriebs- oder Vereinsweihnachtsfeier auf den Tisch, wird es nicht bei einer „Stillen Nacht“ bleiben; ganz gleich, ob als Einstimmung auf einen harmonischen Abend oder als Nervenberuhigung, bevor der Nikolaus das Sündenregister durchgeht – Glühbier wird seine wärmende Wirkung auf Herz und Wangen nicht verfehlen.
Ob der Gastronom mit dem Ausschank des „Originals“ von Liefmans, Störtebeker oder einer anderen Brauerei punkten möchte oder kreativ ist und eine eigene Rezeptur entwickelt – beides ist denkbar. Rezepte mit dunklem Bier, Fruchtsäften, Honig, Zucker und Gewürzen gibt es bereits.
Doch um die ganz individuelle, ausgewogene und verträgliche Komposition auf den Tisch zu bringen, dazu gehört gastronomische Erfahrung und das Gespür, was dem Gast mundet sowie ein Angebot an Speisen, zu dem das heiße Bier harmoniert. Wer „sein“ Glühbier kreiert, kann auf individuelle Wünsche wie eine Light-Version eingehen und sogar die regionale Trumpfkarte ausspielen. Ob bayerisches Dunkelbier, fränkisch-vollmundige Kirschen oder andere regionale Spezialitäten in den Topf kommen – „total regional“ ist in jeder Preisklasse ein Argument.
Der Stachel im Bier
Wem Glühbier zu fruchtig, zu süß, zu weihnachtlich oder einfach zu wenig „bierig“ ist, dem sei ein alter Brauch des Schmiedehandwerks ans gastronomische Herz gelegt, der heute eine Renaissance erlebt. Denn auch die ganz harten Jungs unter den Schmieden hatten ihre zarten Seiten – das Bier aus dem kalten Keller war ihnen schlichtweg zu eisig, also stachen sie ihm mit einem glühenden Schürhaken ins kalte Herz.
Durch den Hitzeschock karamellisiert der Restzucker im Bier; die Prozedur setzt eine intensiv-hopfige, zart-süße Geschmacksnote frei und gleichzeitig entweicht etwas Kohlensäure, so dass der Schaum sich fein, cremig und wohltemperiert über das kalte Bier legt.
Heute ist es nicht mehr der rustikale Schürhaken, sondern ein wohlgeformter Nirosta-Stahlstab, mit dem man das Bier „stachelt“ – doch die attraktive Präsentation mittels einer edlen „Stachelstation“ macht Lust auf mehr – vielleicht sogar auf einen „Stachelabend“ in erlesener Gästerunde.
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